Demut und Bescheidenheit als Wege zu Gott

■ Kürzlich saß ich während eines innereuropäischen Flugs am Fenster des Flugzeugs und genoss die herrliche Aussicht, die sich da einem bietet. Während der zweiten Flughälfte verhinderte dann erfreulicherweise auch keine Wolkendecke mehr die Sicht auf die Erde. Man konnte die Städte, Flüsse und Gebirge erkennen, die wir gerade überflogen. Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der in mir die Erinnerung an einen wichtigen Punkt unserer menschlichen Existenz bzw. an eine fundamentale Glaubenswahrheit weckte.
Wir, Menschen, sind ja wohl alle mehr oder weniger mit den jeweiligen Alltagssorgen beschäftigt. Man wendet dabei auch nicht wenig Aufmerksamkeit dafür auf, sich mit seinem konkreten menschlichen Umfeld auseinanderzusetzen, bzw. man versucht, wie auch immer seinen Platz darin zu finden und zu behaupten. Dies führt, wie wir es ja aus Erfahrung wissen, nicht selten dazu, dass man sich mit den anderen misst und vergleicht und es dabei dann leider auch mit der Versuchung des Stolzes und der Überheblichkeit zu tun bekommt. Und leider zeugt die menschliche Geschichte von einer Unzahl an traurigen Beispielen, wie sehr nämlich das menschliche Wesen dazu neigt, sich in stolzer Weise z.B. für besser und klüger als die anderen Menschen zu halten. Man bildet sich etwas ein, man redet sich etwas ein - man hält sich auf eine ungesunde Art für groß, wichtig und bedeutend!
Wenn man aber so vom Flugzeug, d.h. von ungefähr 10 000 Meter Höhe, aus auf die Erde herabschaut, kann man überdeutlich sehen, dass diese ganze menschliche Überheblichkeit ein gewaltiger Irrtum ist! Auf bildlich-anschauliche Art und Weise sieht man, wie die Menschheit trotz ihres ganzen sündhaften Größenwahns letztendlich doch nur sozusagen auf der Erde klebt und gewissermaßen nur eine winzige Schicht der Realität auf unserem Planeten ausmacht! Nicht nur z.B. die ganzen hohen Bauwerke und Wolkenkratzer, die ja als Symbole der menschlichen Größe herhalten (wenn sie von uns normalerweise von der Erdoberfläche aus betrachtet werden), erscheinen da aus dieser anderen und eben erhöhten Sicht als klein, ja winzig, sondern vor allem natürlich die menschliche Selbstüberschätzung und seine sündhafte bzw. krankhafte Überheblichkeit, die den Menschen leider viel zu oft dazu verleiten, sowohl sich selbst als großartig zu wähnen als auch auf andere verachtend und von oben herab zu schauen.
Wie oft erliegt man der Versuchung und denkt in ungesund-stolzer Weise, man sei klüger, fähiger oder talentierter als die Mitmenschen. Und dennoch treten dann immer wieder Momente und Situationen in unserem Leben ein, wo man mit seiner ganzen hohen Intelligenz und seinen noch so herrlichen Fähigkeiten an eindeutige Grenzen stößt und einem dadurch schmerzhaft klar wird, dass man mit seinem (rein menschlichen) Latein hier und da letzten Endes doch am Ende ist!
Manchmal leistet man tatsächlich etwas Gutes und Wertvolles oder verhält sich trotz eines starken Gegenwindes seitens der unchristlich gewordenen Gesellschaft vielleicht sogar in vorbildlicher Weise höchst moralisch - im Unterschied zu vielen anderen Zeitgenossen. (Denken wir dabei z.B. an die Bewahrung des überlieferten katholischen Glaubens bzw. an die Einhaltung der Gebote Gottes.) Aber es wäre dann ebenfalls töricht bzw. lächerlich anzunehmen, man hätte deswegen ein dickes Lob seitens der Mitmenschen verdient und müsste vielleicht sogar in der breiten Öffentlichkeit als ein Vorbild hingestellt werden. So ermahnt uns ja auch Jesus entsprechend: “So sollt auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was man euch aufgetragen, denken: Wir sind unnütze Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.” (Lk 17,10.)
Ist es denn nicht auch unsere Erfahrung, dass wir vielleicht andere, aber dennoch solche nicht zu verharmlosenden Sünden haben, derer wir uns wohl ebenfalls schämen müssten, würden sie der Öffentlichkeit bekannt werden! Bisweilen begehen wir auch sittliche Verfehlungen bzw. fallen in Sünden zurück, die wir als längst überwunden glaubten - vielleicht gerade zu einem Zeitpunkt, in welchem wir die Nase hochheben! Wie auch immer, keiner von uns kann sagen, für ihn sei es nicht mehr notwendig zu beten, wie Jesus uns zu beten gelehrt hat: “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.”
Gerade wenn man diese allgemeine sittliche Gefährdung des menschlichen Wesens berücksichtigt und somit niemals außer Acht lässt, müsste man doch stetig auch seiner eigenen Schwäche und Gebrechlichkeit eingedenk bleiben! Wie soll man denn angesichts dieser traurigen Realität nicht auch das eigene Kleinsein erblicken und sich dessen bewusst sein, dass der Mensch trotz seiner ganzen Leistungen (z.B. im Hinblick auf Naturwissenschaften und Technik) eigentlich doch ein Wesen ist, welches - aus der anderen, eben erhöhten Perspektive aus gesehen -, doch nur sozusagen auf der Erde klebt und damit doch lieber nicht durch ungesunden Stolz und arrogante Überheblichkeit auffallen sollte.
Dabei ist die Perspektive vom Flugzeug aus immer noch nur ein irdischer Blickwinkel! Die bildlich verstandene Flugzeugperspektive reicht bei weitem nicht aus, um die Relation zwischen dem sündigen, begrenzten und sterblichen menschlichen Wesen auf der einen und Gott in Seiner sittlichen Vollkommenheit bzw. in Seiner unbegreiflichen Unendlichkeit und Ewigkeit auf der anderen Seite zu beschreiben. Um wie viel geringer müssen wir wohl Gott vorkommen - die 10 000 Meter Flughöhe eines Flugzeugs genügen nicht im entferntesten, um ein Bild für die Relation Gott-Mensch einigermaßen korrekt zu reflektieren! Demut vor Gott und persönliche Bescheidenheit als Grundhaltung unserer Gesinnung wären uns somit wohl allen ziemlich vonnöten!
■ Aber wenn man vom Flugzeug aus sieht, wie winzig der Mensch ist, dann wird einem in diesem Zusammenhang auf der anderen Seite auch eine andere große Wahrheit schlagartig bewusst. Wenn der Mensch schon so klein ist, dass er - von der beschriebenen Flugzeugperspektive aus gesehen - geradezu eine ruhig zu vernachlässigende Winzigkeit darstellt, wie groß muss dann aber Gott in Seiner Güte und Barmherzigkeit sein, dass Er den Menschen trotzdem zu solchen hohen Dingen wie der innigen Gemeinschaft mit Ihm beruft! Obwohl wir eigentlich so unbedeutend sind, liegen wir Gott offensichtlich dennoch so sehr am Herzen, dass Er sich unser in frei zu verschenkender Gnade angenommen hat.
Wie sonst sollte man denn bitte die Tatsache verstehen, dass wir bereits bei der Schöpfung mit einem solchen Verstand und einer solchen Freiheit des Willens ausgestattet worden sind, dass wir zwischen Gut und Böse unterscheiden und somit das unendliche Gut-Sein Gottes erkennen und willensmäßig bejahen können? Er hat dann zu den Vätern des Alten Bundes gesprochen und die Propheten Sein Kommen verkündigen lassen.
In der Fülle der Zeit hat Er dann sogar selbst das Menschsein angenommen und unser irdisches Los geteilt. Gerade während der bevorstehenden Weihnachtsfestlichkeiten wollen wir die unbegreifliche Wahrheit verinnerlichen, die uns die Kirche in den ersten beiden Weihnachtsmessen in Erinnerung ruft: “Geliebter! Erschienen ist allen Menschen die Gnade Gottes, unseres Erlösers” (Tit 2,11); “Geliebter! Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes. Nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, die wir getan haben, sondern nach Seinem Erbarmen hat Er uns errettet durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geiste. Diesen hat Er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerechtfertigt, Erben des ewigen Lebens werden, das wir erhoffen: in Christus Jesus, unserem Herrn.” (Tit 3,4-7.)
Wie unendlich groß und endlos intensiv muss also die Liebe und Barmherzigkeit des ewigen und unsterblichen Gottes zu uns, armseligen Geschöpfen, sein, wenn Er nicht nur unser Schicksal der irdischen Verbannung mit uns teilt, sondern dann darüber hinaus auch noch im stellvertretenden Opfer Sein eigenes Leben für uns hingibt und unsere Schuld sühnt, damit wir, die Sünder, in Seinem kostbaren Blut die Reinigung unserer Herzen erfahren, an Seinem Heiligen Geist teilhaben und “Erben des ewigen Lebens werden”! Gott hat uns, obwohl wir doch so klein und erbärmlich sind, schlussendlich doch dazu berufen, dass wir unser Herz für Ihn öffnen und dann eine echte Teilhabe an Seiner unendlichen Liebe, unbegreiflichen Güte und göttlichen Unsterblichkeit gewinnen!
So sagt auch der hl. Papst Leo der Große in einer seiner Predigten zu Weihnachten: “Erkenne, o Christ, deine Würde! Da du nun der göttlichen Natur teilhaftig geworden bist, hüte dich, durch schlechten Wandel wieder in die alte Armseligkeit zurückzufallen! Bedenke, von welchem Haupt und Leib du ein Glied bist! Denk daran, dass du der Macht der Finsternis entrissen und in Gottes Licht und Reich versetzt worden bist!” (Aus dem Römischen Brevier.)
Gerade wenn wir entweder von der Last des irdischen Daseins erdrückt zu werden drohen oder kaum der gewaltigen Wucht und Schwere der diabolischen Versuchung widerstehen können, gestehen wir uns freimütig und ohne verkehrten Stolz ein, wie klein, schwach und gebrechlich wir doch sind und uns somit allein nicht aus dem betreffenden Schalmassel herausziehen können. Gerade wenn wir von großen Sorgen und zahlreichen entmutigenden und an der Substanz zehrenden Problemen sogar von allen Seiten umringt zu sein scheinen, erheben wir unseren inneren Blick auf den göttlichen Erlöser und schöpfen wir immer wieder neu Hoffnung, dass alles dem Willen Gottes entspricht bzw. in Entsprechung zu Seiner unbegreiflichen Vorsehung steht! Sein Erbarmen möge uns neu aufrichten, Seine Gnade uns neue Kraft einflößen und Seine Liebe uns bei allen unseren guten Unternehmungen begleiten!
Und obwohl wir sehr klein und winzig in der Relation zu Gott sind und dies auch immer bleiben, werden wir auf der anderen Seite dennoch zur Ehre Gottes und dem Heil unserer Seelen echte Werke der Gottes- und Nächstenliebe vollbringen können - in Seiner sich uns in Gnaden zuwendenden Liebe finden wir dann auch die wahre Ruhe des Seele bzw. den echten Frieden unserer Herzen!

P. Eugen Rissling

 

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